VVN-Gesichter

An dieser Stelle möchten wir Gründer*innen und Mitglieder der VVN-BdA Kreisvereinigung Bielefeld und Umgebung vorstellen. Dieser Bereich wächst nach und nach.

Zu Michel Knop, Widerstandskämpfer und Kreisvorsitzender der VVN-BdA, empfehlen wir das > Buch von Willi Aders-Zimmermann. Der Klappentext:

„Der Autor rekonstruiert ein widerständiges Leben im 20. Jahrhundert. Dazu gelang es ihm, zahlreiche Dokumente zu erschließen und Weggefährt*innen von Michael Knop zu befragen. Seine Ausgangsfrage war: Was ist heute noch zu finden? Die Antworten zeigen den beeindruckenden Versuch, ein selbstbestimmtes Leben in fremdbestimmter Zeit zu führen. Trotz der historischen Quellen, die erschlossen werden konnten, bleiben Lücken in der Lebensbeschreibung. Die Akten der Gestapo und der NS-Justiz sagen etwas aus über Michel Knop, aber auch über die Akteure der Unterdrückung. So wie der Kraterrand nicht der Krater ist, so ist auch ein Bericht der Geheimen Staatspolizei über Michel Knop nicht Michel Knop selbst. Daher werden die biographischen Dokumente im historischen Kontext betrachtet. Vieles bleibt offen. Motivationen und Entscheidungen in bestimmten Situationen, Emotionen, Ängste und Gefühle können aufgrund der begrenzten Quellenlage insgesamt nicht unbedingt erschlossen werden. Die vorliegende Spurensuche aber ist ein spannendes Unterfangen. Was ist heute noch zu finden?“

Michel Knops Lebensweg in seinen Eckpunkten:

• 1900 wird Michel Knop in Sodingen, nördliches Ruhrgebiet, in einer katholischen Bergarbeiterfamilie geboren.
• 1917 Nach erfolgreicher Metzgerlehre wird er zwangsrekrutiert als Bergarbeiter auf der Zeche Mont Cenis in Sodingen. Dort erlebte er die Novemberrevolution
• 1919-1932 arbeitet er auf verschieden Zechen im Ruhrgebiet und im Aachener Kohlerevier (z. B. Übach-Palenberg)
• 1. Februar 1933 laut Staatsanwaltschaft beim Hochverratsprozess 1941 soll er an einem Sabotageakt am 1.2.1933 beteiligt gewesen sein.
• 27. März Michel Knop kommt in Schutzhaft, aus der er am 13. April 1933 entlassen wird.
• Mitte September 1933 taucht Michel Knop unter und flüchtet nach Holland, nachdem ein Flugblattschmuggel scheiterte
• 1935 wird er bei einem Flugblattschmuggel von holländischen Grenzern verhaftet. Für ein Jahr sitzt er dann in Holland im Gefängnis und wird dann nach Belgien abgeschoben.
• Von 1936–1940 arbeitet er als Stadtteilleiter in Brüssel unter dem Decknamen Karl im Widerstand.
• 10. Mai 1940 Am Tag des Überfall Deutschlands auf Niederlande, Belgien und Luxemburg wird er nach Frankreich abgeschoben und einem der berüchtigten Lager in Südfrankreich (St. Cyprien) interniert.
• Am 18.8.1940 wird er von der Gestapo im Internierungslager verhaftet.
1940 sitzt er bis zu seinem Hochverratsprozess er 11 Monate im Polizeigefängnis bzw. Gefängnis in Aachen in Untersuchungshaft
• 21.8.1941 wird er zu 3 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Siegburg absitzt.
• 30.8.1943 Unmittelbar vor seiner Entlassung kommt er in Gestapohaft in Köln-Klingelpütz. Von dort aus kommt er ins Gestapolager in den Kölner Messehallen.
• 28.7.1944 Überweisung ins KZ-Sachenhausen. Er ist in einem Bomben- und Minenentschärfungskommando
• 21.4.1945 muss er auf den Todesmarsch.
• 4.5.1945 wird er von der Roten Armee befreit
• 1945 wird er von der britischen Militäradministration als politischer Beauftragter zum Wiederaufbau der Gemeinde Übach-Palenberg eingesetzt.
• 1951 siedelt er nach Bielefeld über
• Im Kalten Krieg kommt es zu verschiedenen Anzeigen/Verhandlungen zu Michel Knop. Diese gehen allerdings ins Leere.
• 1956 Bis zum Verbot der KPD ist er 1. Sekretär der KPD
• 1956 ist er jahrelang 1. Vorsitzender der VVN, später VVN-BdA.
• Ab 1957 beteiligt er sich an den Ostermärschen ist in der Ostermarschbewegung und Friedensbewegung aktiv
• 1998 Bis zu seinem Tod ist er Ehrenvorsitzender der VVN-BdA

Zum Bielefelder Stadtjubiläum 2014 entstand ein Porträt über Marie Luise (Lieschen) Hartmann. Sie war Widerstandskämpferin, VVN-Mitglied seit der Gründung, Hauptkassiererin in Bielefeld und Mitglied des NRW-Landesvorstands.

An Lieschen Hartmann und Maria Wachter erinnerte der Instagram-Kanal @vergessene_bielefelderinnen (Link zum Post per Klick aufs Bild):

Im Kampf gegen den Faschismus 1933-1945 – Paul Aude

Foto [1] In der Freien Scholle: „Die Genossenschaftsmitglieder wählten „rot“ bei der letzten ‚freien‘ Wahl 1933. Im Vordergrund Willi Stumpf, Hermann Wörmann, der 1944 von den Nazis hingerichtet wurde. Hermann Heß, der nach dem Krieg von 1951 bis 1970 dem Aufsichtsrat der Freien Scholle angehörte. Paul Aude und Else Zimmermann (von links nach rechts) [2]
[3] Flugblatt der Bielefelder KPD, März 1933, vermutlich von Else Zimmermann verfasst

Widerstand, Zuchthaus und Strafbatallion
Am 14.05.1935 wird Paul Aude verhaftet und ins Bielefelder Gerichtsgefängnis verbracht. Er wird wegen Vorbereitung zum Hochverrat vom 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamm angeklagt und am 15.02.1936 verurteilt zu sechs Jahren Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für die Dauer von 5 Jahren. In Bielefeld und Münster sitzt er bis zum 15.5.1941 im Zuchthaus. Am 29.6.1943 wird er eingezogen ins Bewährungsbataillon 999. Am 18.11.1943 bringt man ihn ins Strafbataillon OT (Organisation Todt). Seine Befreiung aus der Naziherrschaft endet mit der Gefangennahme am 31.08.1944 durch die britische Armee nach der Invasion der Alliierten am 6. Juni 1944. Aus der Gefangenschaft kehrt er am 07.02.1947 zurück. [4]
Nach dem Krieg
1947 ist er Gründungsmitglied der Vereinigung der Verfolgten gegen das Naziregime (VVN). Nach dem Verbot der KPD (1956) arbeitet er wieder in der Illegalität bis zur Neukonstituierung der Kommunistischen Partei (Deutsche Kommunistische Partei/DKP) 1968.

Wer war Paul Aude?
Am 13.8.1904 wird Paul Aude in Wismar geboren und beendet dort erfolgreich seine Lehre als Maurer (1919-1922). Ab 1922 bis 1935 arbeitet er in verschiedenen Unternehmen (z. B. Bielefelder Bauhütte Teutoberg). Von 1919 bis zur Auflösung bzw. Gleichschaltung der Gewerkschaften ist er freigewerkschaftlich orientiert (Freie Gewerkschaft/ ADGB). Anfang der 20er arbeitet er in der Sozialistischen Arbeiter Jugend (SAJ). Als Mitglied der Genossenschaft Freie Scholle (Wohnungsbaugenossenschaft) ist er im „5. Kanton“ (Arbeiterviertel im Osten Bielefelds) aktiv zusammen mit späteren Widerstandskämpfern der KPD (s. Foto oben). Unter anderem lebt er Anfang der 30er Jahre bis 1982 in der Carl-Hoffmann-Straße Nr. 15 bzw. Nr.8 im 5. Kanton. Am 17.05.1930 heiratet er Maria Aude, geb. Meier (geb. 1904 in Bielefeld, gest. 15.08.1968). Aus dieser Ehe stammen die Kinder Gerhard (1930) und Helga (1934). Von 1928–1930 ist er Mitglied im Deutschen Freidenker Verband, danach im Verband proletarischer Freidenker (1930–1933). 1927 bis 1933 ist er Mitglied der KPD und übt im Bielefelder Osten die Funktion als Kassierer aus. [5]

Paul Aude 1933-1935
Am 30. Januar 1933 beginnt die Verfolgung von KPD-, SPD- und Gewerkschaftsmitgliedern. Am 2. Februar finden die ersten wilden Hausdurchsuchungen statt, willkürliche Verhaftungen werden vorgenommen und Publikationsverbote erlassen.
Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar setzen Massenverhaftungen ein und die KPD muss nun vom Untergrund aus den Widerstand gegen den Faschismus organisieren. Paul Aude ist maßgeblich am Widerstand im 5. Kanton beteiligt. Als Kassierer [6] sorgt er mit dafür, dass etwas Geld für Widerstandsaktionen in die Kasse kommt. Bei schätzungsweise 200 bis 300 Parteimitgliedern werden in Bielefeld Beiträge kassiert. Über zahlreiche Aktionen berichtet Paul Aude. Dazu gehörten Kurzdemonstrationen, die dezentral stattfinden, um möglichst Polizeieinsätzen aus dem Wege zu gehen. Wenn die Mannschaftswagen der Staatspolizei eintreffen, sind die Teilnehmer schon verschwunden. Beim Maiaufmarsch der Nazis 1933 zu den Heeper Fichten werden mit Hilfe von Brieftauben Flugblätter über dem Demonstrationszug abgeworfen, in vielen Fenstern in der Ziegelstraße sieht man rote Bettkissen. [7] Paul Aude besucht schon 1932 ein Seminar zur Vorbereitung auf die Illegalität. Die GenossInnen des 5. Kanton treffen sich als Wanderer gekleidet zu geheimen Treffen in den Heeper Fichten. Die Hauptaufgabe sehen die Kommunisten in der Verbreitung von Orientierungen im Widerstand. Aufbauversuche mit einer Einheitsfront mit den Sozialdemokraten, ebenso Streikvorbereitung und Durchführung für höhere Löhne und Arbeitsverbesserungen. Bei der gleichgeschalteten Presse ist es wichtig, auch über nationale und internationale Entwicklungen zu berichten. Paul Aude berichtet über die Verbreitung der Materialen. Zum Beispiel transportiert Willi Schäfer, der Fahrer bei Anker war, Flugblätter und druckte auch im Wagen mit einem Roller (Matrize auf Rolle gespannt und auf Papier abgerollt; Druckapparate waren zu teuer). Flugblätter lässt er aus einer Klappe bei schneller Fahrt fallen. Flugblätter werden mit der Post verschickt mit falschen Angaben zum Absender, in Zeitungspapier gerollte Flugblätter werden in Warteräumen gelegt, Briefkastenverteilung, Aufkleber an Laternenmasten, Wandparolen. Paul Aude berichtet weiter, er habe den Weitertransport von Zeitungen und anderen Materialien mit dem Kinderwagen gemacht. Sein Sohn (Gerhard, 3 Jahre alt) habe auf den Materialien gesessen. [8]
Flugblätter aus Bielefeld, die 1933 verteilt werden, kann man im Landesarchiv in Detmold nachlesen: „Die rote Volkswacht, Nr. 2, März 1933“, „der Sturz der faschistischen Diktatur durch Einheits-Kampffront“, „Die Kommunisten im Bielefelder Stadtparlament“, „Einheitsvorschlag des Zentral-Komitees der KPD“, „Der Kämpfer“, März 1933 und Juni 1933 sowie „Ohne Einheitsfront keinen politischen Widerstand“ [9].
Insgesamt kommen in Bielefeld 1933–1935 Zeitungen, Zeitschriften und Flugblätter zur Verteilung: Von der ‘Rote Fahne‘ werden 150 Exemplare verkauft, vom Ruhrecho 8. ‚Der Rote Kämpfer‘ wird 1933 6x nachgewiesen [10], „Die rote Volkswacht“ wurde „z. T. in erstaunlicher Auflagenhöhe von 1600 Exemplaren verteilt“[11].

Ist der Widerstand erfolgreich?
Einerseits belegen Abstimmungen 1933 im KPD-orientierten Stimmbezirk der Petrischule mit 438 Neinstimmen und 1934 bei der Abstimmung zum ‚Gesetz über das Oberhaupt des Deutschen Reiches‘ stimmten 638 mit ja, 521 mit nein und 425 ungültig. Staatspolizei in Berlin hierzu: „…daß dieses unter dem Reichsdurchschnitt liegende Ergebnis eindeutig auf marxistische Umtriebe“ zu zurückzuführen sei“ [12].
Im April 1935 lehnen die Arbeiter in vielen Bielefelder Betrieben bei den Vertrauensratswahlen die von der NSDAP verordneten NSBO-Kandidaten (Nationalsozialistische Betriebsorganisation) mit großer Mehrheit ab, nachdem ihre eigenen Vertreter seit der Auflösung der Gewerkschaften im Mai 1933 nicht mehr antreten konnten. [13] Die Widerstandsarbeit wird aber durch viele Verhaftungen empfindlich gestört, der Druck wird immer größer, Verhaftungen reißen eine große Lücke.
Den ersten Verhaftungen am 31.1.1933 von 17 KPD-Mitgliedern folgen weitere. Am 16.2.1933 werden 14, bis zum März 1933 weitere 49 und am 2. Mai 1933 5 Gewerkschaftssekretäre verhaftet. 40 Gefangene, darunter 30 KPD’ler werden am 5. Mai nach Herford ins Gefängnis gebracht, da das Gerichtsgefängnis in Bielefeld an der Turnerstr. überfüllt ist. Einige müssen untertauchen (z. B. Philipp Roth, Else Zimmermann, Magnus Hartmann, Wilhelm Schwerblies, Bernhard Bentner. [14]
Insgesamt gibt es in Stadt und Kreis Bielefeld bis einschließlich 1935 429 Verhaftungen in politischen Strafsachen, über 60 % davon gehören der KPD an, rund 85 % aller Verhafteten sind Arbeiter.[15]
In dem Instruktionsschreiben (s. o.) der Bezirksleitung (BL) der KPD Niedersachsen vom Juni 1933, überschrieben mit „Kampferfahrungen“, gibt es Neuorientierungen für die Widerstandsarbeit. Es geht um neue Methoden der Agitproparbeit, Sicherung der Druckapparate, Selbständigkeit von Fünfergruppen. Des Weiteren geht es um Kettenbriefe und ihre Verwendung, die Herstellung von Klebezettel (u. a. „Wie kann man hektographieren?“). Ein Schwerpunkt liegt auf der Widerstandsarbeit in den Betrieben. Auch hierzu gibt es konkrete Anweisungen, wie man dies organisieren sollte. [16]
Hintergründe für Verhaftungen sind: Chiffrierung von Verteilungs-/Kassierungslisten seien z. T. nur oberflächlich gewesen [17]. Auch Paul Aude berichtet von Fehlern, die vor Ort gemacht werden: Fingerabdrücke von verschiedenen Personen auf Flugblättern (danach wird nur noch mit Handschuhen gedruckt), Flugblätter enthalten noch Klarnamen im Impressum [18]. Des Weiteren werden Mitarbeiter der Staatspolizei in KPD-Gruppen eingeschleust.
Ein großes Problem sind Denunziationen aus Nachbarschaft und NS-Organisationen. Im Bielefelder 5. Kanton kennt man sich. Wohnadressen von Kommunisten und Sozialdemokraten sind bekannt. Politische Gegner stehen unter der Beobachtung von Gestapo, NS-Organisationen und Nachbarn.
„Mit erschreckender Hemmungslosigkeit haben die deutschen ‚Volksgenossen‘ sich als Zuträger der Gestapo betätigt. So sind in Bielefeld die meisten Verhaftungen von Kommunisten und Sozialdemokraten in den ersten Jahren des NS-Regimes durch Denunziationen ausgelöst worden“ […] Diese unvorstellbare Bereitwilligkeit der Zuträger nahm solche Formen an, dass sich das Polizeipräsidium Bielefeld veranlasst sah, in den Westfälischen Neuesten Nachrichten am 31.10.1933 eine Warnung zu veröffentlichen: Es häuften sich die Fälle, in denen privaten Streitigkeiten ein politischer Anstrich gegeben werde. Solche politisch grundlosen Verdächtigungen würden in Zukunft mit der Überstellung des Betreffenden in ein Konzentrationslager geahndet. Diese Nachricht belegt, dass in vielen Fällen persönliche Streitigkeiten und Nachbarschaftskonflikte eine Denunziation auslösen konnten, doch es bleibt – wie die Verhaftungen von Mitgliedern der KPD und SPD belegen – die Tatsache, dass der Verfolgungsapparat auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen war“ [19].
Nach den Verhaftungswellen 1933 beginnt die KPD ihre Widerstandsarbeit neu zu organisieren.
Paul Aude berichtet von Konsequenzen. Die Widerstandarbeit wird in Dreierzellen organisiert; möglichst wenige sollen andere GenossInnen kennen, um diese auch nicht bei Folter verraten zu können. Es gibt eine ‚Rote Post‘ mit Kurieren von oberen Ebenen über Vertrauensleute. Michel Knop, der später lange Jahre im 5. Kanton wohnt, schmuggelt Zeitungen, Flugschriften und Flugblätter 1933-1935 von Holland über die Grenze ins Ruhrgebiet, die dann über Kuriere auch in OWL landen [20]. Für die Druckarbeit gibt es ein Versteck auf dem Heimweg. Als dort der Genosse Konstantin Langhammer verhaftet wird, wird ein neues Versteck in der Öhlmühlenstraße eingerichtet.
Zum Versteck für einen Matrizendrucker wird vor einer Hausdurchsuchung die Werkstatt eines parteilosen Klempners auf der Bleichstraße, der dann auch druckt.
Am 14.5.1935 kommt es zu einer Massenverhaftungen von 64 Personen (u. a. auch Paul Aude in Bielefeld [21], aber auch in Bünde und Lippe gibt es zahlreiche Verhaftungen. Sie werden ins Gerichtsgefängnis an der Turnerstraße in Bielefeld verbracht.
Nach Bekanntwerden der Verhaftungen am 14.05.1935 demonstrieren Frauen der Angeklagten. Der Demonstrationszug kommt bei der Firma Dürkopp vorbei. Als die Arbeiter den Grund erfahren, legen sie spontan für eine Viertelstunde die Arbeit nieder [22].
Wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ werden 60 Widerstandskämpfer im Februar 1936 zu zum Teil hohen Zuchthausstrafen verurteilt. Paul Aude wird zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt und ihm werden für die Dauer von fünf Jahren die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. „Eingezogene Schriften sollen eingezogen und vernichtet werden“, heißt es im Urteil. [23]
In der Urteilbegründung heißt es: „A. war schuldig befunden bis zur polizeilichen Festnahme am 14.5.1935 als Kassierer des Stadtteils Bielefeld Ost für die illegale KPD tätig gewesen zu sein und illegale Zeitschriften für diese vertrieben zu haben.“ Vor Gericht habe Paul Aude der Aussage widersprochen, Mitglied einer politischen Partei gewesen zu sein. Er habe aber mit der KPD sympathisiert. [24] Eine erfolglose Verteidigungsstrategie. Welche Informationen der Verfolgungsbehörde vorgelegen haben, ist nicht bekannt.


Paul Aude 1935-1945
Vom 14.05.1935 bis zum 15.05.1941 sitzt Paul Aude in den Strafanstalten in Bielefeld und Münster ein. [25] Nach der Entlassung aus der Haft arbeitet er als Maurer bei der Bielefelder Firma Böttcher. Er steht nun unter Beobachtung der Gestapo. Als Wehrunwürdiger wird er am 29.6.1943 ins Bewährungsbataillon 999 beordert. Der Aufstellungsort Heuberg/Schleiden liegt in der Nähe der belgischen Grenze. Von dort aus muss er am 18.11.1943 ins Strafbataillon OT, eine Baubrigade, deren Einsatzort in Frankreich liegt. [26]
Bei der Vernehmung beim Amtsgericht Bielefeld 1952 berichten Zeugen, die mit Paul Aude im Strafbataillon 999 und im Strafbataillon OT (Organisation Todt) zusammen gewesen sind: Die Baubrigade sei beim Bau von Festungsanlagen eingesetzt worden. Sie haben sich nicht an der Front befunden, sondern hätten im hinterwärtigem Gebiet arbeiten müssen. In ihrem Strafbataillon hätten politische Gefangenen als politisch Unzuverlässige, andere Strafgefangene und Zwangsarbeiter Zwangsarbeit leisten müssen. In einem mit Stacheldraht gesicherten Lager hätten Vorarbeiter die Bewachung und Kontrolle übernommen. Das Essen sei ausreichend gewesen. [27) Harte Arbeit bei einem 12 Stunden Tag sind charakteristisch für eine Baubrigade. Weil ihre Arbeit kriegswichtig ist, werden sie ausreichend ernährt.

Nach der Befreiung 1944
Nach der Invasion der Alliierten am 6. Juni in der Normandie endet Paul Audes Verfolgung durch die Nazis mit der Gefangennahme am 31.08.1944 durch die britische Armee. Nach der Entlassung aus der britischen Gefangenschaft kehrt er am 07.02.1947 nach Bielefeld zurück.
1947 gründet er mit anderen Verfolgten des Naziregimes die VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes).
Die Familie lebt in Armut. Paul Aude beantragt 1948 eine Beihilfe von 500,00 DM. In einem Schreiben Paul Audes heißt es: „…Meine Kinder sind jetzt herangewachsen und benötigen dringend Neuanschaffungen, wie Betten; Kleidung usw. Da ich über keine Barmittel verfüge.“ Bewilligt werden 200,00 DM. Zudem werden ihm 1949 nach dem Bundes-Entschädigungs-Gesetz (BEG) für jeden Haftmonat (82 Monate) eine monatliche Entschädigung von 150,00 DM gezahlt. [28]
Im Kalten Krieg werden wieder viele Nazigegner aus den Reihen der KPD in die Illegalität gezwungen. Im Juni 1956 wird die KPD verboten. Paul Aude und Michel Knop berichten: „Man stelle sich nur vor, wie eine Gedenkfeier auf einem polizeilich abgeriegelten Sennefriedhof abläuft. Auch an den Gräbern und am Denkmal war Polizei aufgestellt, die garantieren sollte, daß weder Reden gehalten wurden noch gesungen wurde, das war nämlich verboten. Ein polizeilich erzwungenes Schweigen auf einer Trauerfeier – eine absurde Szenerie ohne jede Achtung vor der Würde der Opfer“. [29] 1956 werden Kränze an der Gedenkstätte auf dem Sennefriedhof für die 1944 hingerichteten Bielefelder Widerstandskämpfer – die meisten gehörten der KPD an – gefunden mit roten Gedenkschleifen: „Unseren unvergessenen durch den Faschismus gemordeten Genossen“, „Von ihrer wiederrum verbotenen und verfolgten Partei KPD Kreisleitung Bielefeld“. Oben auf der Schleife ist auf einem roten Stern Hammer und Sichel zu sehen. [30]. Interpretiert wird dieses Gedenken als illegale Werbung für eine verbotene Partei. Es kommt zu einer Anzeige. Da kein Täter ermittelt werden kann, wird dies Verfahren eingestellt.

1979 protestiert Paul Aude mit vielen anderen gegen die Freisprechung von Naziverbrechern vor dem Bielefelder Landgericht. In Bielefeld müssen sich der ehemalige Gebietskommissar in Wladimir-Wolynski (Ukraine) Wilhelm Westerheide, und seine damalige Sekretärin, Johanna Zelle, für ihre Mitverantwortung bei der Tötung von 9000 Juden anlässlich der Räumung des Gebiets-Gettos verantworten. [31] Typisch für die NS-Prozesse in dieser Zeit sind: Verfahren beginnen Jahrzehnte nach der Tat, Verschleppungen von Verfahren, Beweispflicht wird den Opfern aufgelastet, Berufung auf Befehlsnotstand, Verhandlungsunfähigkeit der Täter, fehlendes Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (Euthanasieprozess von 1967). Dies führt zu vielen Freisprüchen, wie auch im obigen Fall.
Bis zu seinem tödlichen Unfall 02.04.1982 mit dem Fahrrad an der Kreuzung Heeper-/ Ziegelstraße ist Paul Aude aktiv in der in Ostermarsch- und Friedensbewegung.
Der Nachruf, höchstwahrscheinlich von Michel Knop verfasst ist, wird 1982 in der Stadtteilzeitung seiner Wohngebietsgruppe Ost der DKP veröffentlicht.

[32]

Quellennachweise:
1. Bildnachweis: „Marie Heß“ (Die Ehefrau von Hermann Heß, der nach dem Krieg von 1951 bis 1970 dem Aufsichtsrat der Freien Scholle angehörte.) 75 Jahre Freie Scholle 1911-1986 – Geschichte und Gegenwart genossenschaftlicher Selbsthilfe in Bielefeld, Hrsg.: Baugenossenschaft Freie Scholle, bearbeitet von Frank Karthaus, Bielefeld, 1986, S. 40

2. ebenda

3. LAV NRW OWL D83 Nr. 30a

4. D1 BEG Nr. 97 1949-1966. LA NRW OWL

5. Findings of Berlin Dokument Center Volksgerichtshof; Dec. 3. 1957 Berlin Document Center, U. S. Army LfV. NW-DC: 61 310/57; 5.O Js. 315/35, zitiert nach einem Schreiben des Regierungspräsidenten in Detmold vom 8.März 1958, 14.097/ZK. 30.358, in: NRW OWL D1 BEG Nr. 97 1949-1966

6. ebenda

7. aus einem Interview mit Paul Aude 1977 in Lawan, Christian: Antifaschistischer Widerstand der KPD in Bielefeld 1932, Examensarbeit, Bielefeld 1977, S. 81ff

8. ebenda

9. LAV NRW OWL D83 Nr. 30a

10. Lawan, S. 54

11. Horst, Uwe, Nationalsozialismus in Bielefeld – Machtsicherung – Verfolgung – Widerstand, zitiert aus: http://www.stolpersteine-http://www.stolpersteine-bielefeld.de/informationen/materialien.html [Zugriff am 22.9.2023]

12 Lawan, S. 95

13 Horst, s. o.

14 Lawan, S. 55

15. Horst, s. o.

16. LAV NRW OWL D83 Nr. 30a

17. Lawan, S. 55

18. ebenda

19. Horst, s. o.

20. Aders-Zimmermann, Willi, Widerstand und Lager in der NS-Zeit und Opposition in der BRD, Michel Knop, eine Spurensuche, Detmold 2021, S. 64ff

21. Urteil in: LA NRW OWL Q211a, Nr. 5513; Generalstaatsanwaltschaft Hamm, Erstinstanzliche Strafsachen

22. Lawan, S. 99

23. Urteil s. o.

24. Document Center, s. o.

25. LAV NRW Abt. Westfalen K 700, Nr. 2143, Transportbuch Transportakte

26. LAV NRW OWL D83 Nr. 30a

27. ebenda

27. ebenda

29. Aders-Zimmermann, S. 131

30. ebenda

31. VVN-BdA Broschüre, Der Bielefelder NS-Prozess gegen Westerheide und Zelle: Dokumente und Hintergrund,1978, S. 27

32. „Der Pottkieker“, Stadtteilzeitung Der DKP-Wohngebietsgruppe Bielefeld Ost, April 1982, S. 4

Literaturhinweise

Aders-Zimmermann, Willi: Widerstand und Lager in der NS-Zeit und Opposition in der BRD, Michel Knop, eine Spurensuche

Benz, Walter H. Pehle (Hrsg.): Lexikon des deutschen Widerstandes, Frankfurt 2008

Horst, Uwe, Nationalsozialismus in Bielefeld – Machtsicherung – Verfolgung – Widerstand

Klee, Ernst, das Personenlexikon zum Dritten Reich

Kühnl, Reinhard, die Zerstörung der Weimarer Republik

Lawan, Christian: Antifaschistischer Widerstand der KPD in Bielefeld 1932—1935 Bielefeld

Mommsen, Hans: Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstandes.

Weisenborn, Günther, Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des Deutschen Volkes 1933–1945

Willi Aders-Zimmermann