Arbeiterwiderstand bei Dürkopp und Benteler
Einleitung
Wir möchten das Gedenken an die ermordeten Widerstandskämpfer (bestattet auf dem Sennefriedhof) stärken und ins Stadtzentrum holen. Daher arbeiten wir an einer Gedenktafel, die auf dem Gelände Dürkopp Tor 6 installiert werden soll.
Während der gesamten Zeit der NS-Diktatur leisteten Gruppen und Einzelpersonen Widerstand, darunter insbesondere Mitglieder der Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung, der KPD (Kommunistische Partei Deutschlands), der SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) und der Gewerkschaften. Diese hatte das Naziregime schon 1933 verboten und jede Kritik an seiner Politik mit hohen Strafen bedroht, darunter Zuchthaus, Konzentrationslager und Todesstrafe; manchmal schon für das Verteilen kritischer Flugblätter.
Trotzdem gab es vielfältigen Widerstand gegen das Naziregime; dazu gehörte z. B. das Herstellen und Kleben nazikritischer Plakate, das Verbreiten von Informationen über die Verbrechen des Regimes, Sabotage, Attentate und auch die Hilfe für gefährdete Mitkämpfer*innen; sie wurden über illegale Netzwerke außer Landes gebracht.
Auch in den Dürkoppwerken und in anderen Bielefelder Betrieben gab es seit Beginn der Naziherrschaft Widerstandsgruppen. Sie mussten sich heimlich treffen und konnten ihre Meinung nur unter großer persönlicher Gefahr z. B. an Kolleg*innen weitergeben, meist durch Flugblätter oder auch nur mündlich.
Da sie im Geheimen handeln mussten, wissen wir heute über die Aktivitäten dieser Widerstandsgruppen vor allem aus Polizeiberichten und Gerichtsakten. 1935 wurden in einer großen Verhaftungswelle in Bielefeld und Umgebung 130 Widerstandskämpfer verhaftet; dafür gab es insgesamt 258 Jahre Zuchthaus bzw. Gefängnis. Trotzdem gelang es der GESTAPO nicht, den Widerstand total zu unterdrücken.
In den Widerstandsgruppen waren Frauen und Männer in allen Bereichen aktiv. Aus der direkten betrieblichen Widerstandsarbeit bei Dürkopp und Benteler sind allerdings bis heute nur Männer bekannt. Die üblichen Metallberufe waren damals nur Männern zugänglich. Frauen konnten in vielen Bereichen sehr effektiv Widerstand leisten, da sie von der GESTAPO leichter „übersehen“ wurden. Deshalb wissen wir auch sehr wenig darüber.
Ende der 30er Jahre arbeiteten wieder zwei illegale, gewerkschaftlich orientierte Widerstandsgruppen um die Betriebe Dürkopp und Benteler. Durch eingeschleuste Spitzel gelang es der GESTAPO schließlich 1943/1944 einen großen Teil der beiden Gruppen zu verhaften und damit die Widerstandsarbeit in diesen Unternehmen im Wesentlichen zu zerstören. In den folgenden Prozessen wurden 12 Personen zum Tode verurteilt und im September 1944 hingerichtet.
Seit 1948 erinnert der Gedenkstein am Ehrenfeld für politisch Verfolgte – Dagmar Giesecke schrieb einen „Historischen RückKlick“ über die Enthüllung – auf dem Sennefriedhof auch an die widerständigen Arbeiter von Dürkopp und Benteler, deren Leichname 1945 nach Bielefeld überführt wurden.
Links: Der Entwurf unserer Gedenktafel am geplanten Aufstellungsort beim Straßenschild (Foto: Gabi Hillner). Rechts: Infotafeln von Dieter Begemann zur Widerstandsarbeit bei Dürkopp und „Rundfunkverbrechen“ (Foto: Benno Lüdeke),
Wie sah die Arbeit dieser Gruppen aus und weshalb wurden sie mit dem Tode bestraft?
Sie hörten gemeinschaftlich oder auch alleine den sowjetischen und den britischen Rundfunk und werteten die Sendungen aus. Anschließend gaben sie die Informationen an die Mitglieder der Gruppen weiter, die kein Radio hatten.
Um nun diese Informationen noch mehr zu verbreiten, wurden z. B. bei Dürkopp von Gustav Höcker Gesprächskreise organisiert. Dazu trafen sich die Männer während der Pausen im Waschraum, auf den Toiletten und an anderen Orten auf dem Betriebsgelände und gaben die Nachrichten an die Arbeitskollegen weiter, z. B. über den tatsächlichen Frontverlauf oder über den Terror der Nazis im eigenen Land. Sie wollten damit für die Forderung nach einem schnellen Kriegsende werben und die Kollegen von der Wichtigkeit gemeinsamen Widerstands überzeugen. Außerdem tauchten Anfang der 40er Jahre in den Betrieben häufiger handgeschriebene Flugzettel und Wandanschriebe gegen den Krieg auf.
Dieser Artikel über Eduard Berke, Kommunist und Schleifer bei der Firma Benteler in Bielefeld, veranschaulicht das Hören von „Feindsendern“ während des Krieges.
Gedenkveranstaltung auf dem Sennefriedhof, September 2019. Fotos: Irene Recksiek
Personen
In der Widerstandsgruppe aus Arbeitern bei Dürkopp, Benteler und anderen Betrieben waren mehr Menschen aktiv, als auf der Gedenktafel vorgestellt werden. Wir haben hier nur diejenigen, genannt die im September 1944 in Dortmund hingerichtet wurden.
Die Gedenkstätte auf dem Sennefriedhof beheimatet zusätzlich die Gräber von
Max Sachs
Oskar Grube
Fritz Bockhorst
Bernhard Zawacki.
Weitere Informationen: Stolpersteine Bielefeld.
Über weitere Personen, die am Widerstand in Bielefelder Betrieben beteiligt waren, wissen wir nur, wenn sie später davon erzählt haben. Dazu gehören auch viele Frauen. Von einigen wenigen wissen wir heute, was sie gemacht haben, weil sie überlebten und später davon erzählten. So z. B. Lieschen Hartmann und Else Zimmermann. Es war damals nicht möglich, heimlich Rundfunk zu hören oder sich ohne Wissen und Unterstützung der Familie an anderen Widerstandsaktionen zu beteiligen. Auch Verwandte konnten bestraft werden.
Maria Wachter stellt Verbindungen zwischen verschiedenen Widerstandsgruppe her.
Hermann Kleinewächter
Hermann Kleinewächter wurde am 5. Oktober 1902 in Bielefeld geboren. Er arbeitete zuletzt als gelernter Dreher bei den Dürkopp-Werken Bielefeld. Sein monatlicher Verdienst wird mit 200 RM angegeben. Er lebte in der Friedrich-Ebert-Straße (früher Reichspoststraße) mit seiner Ehefrau. Sie arbeitete ebenfalls.
Politische Aktivität und Widerstand
1928 trat er in die KPD ein und war in seiner Stadtteilgruppe aktiv. Dort kassierte er die Mitgliedsbeiträge und verbreitete die KPD-Zeitungen. Nachdem die Nazis 1933 die KPD verboten hatten, beteiligte er sich in der Illegalität am Wiederaufbau der Gruppe. Dies werteten die Nazis als Hochverrat und verurteilten ihn dafür 1934 zu 2 Jahren und 3 Monaten Gefängnis.
Über die weitere Tätigkeit Hermann Kleinewächters wissen wir wenig. Es wurden Zeitungen verteilt, die das Naziregime kritisierten. Dies war für die Widerstandsgruppe sehr gefährlich; deshalb versuchten sie, möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Was wir heute darüber wissen, steht in den Prozessakten aus dem Jahre 1943 und zeigt die Sicht der Nazis bzw. deren Spitzel.
Demnach gab es seit 1938 kleine Gruppen von Arbeitern bei Dürkopp und anderen Bielefelder Metallbetrieben. Diese trafen sich in kleinen Gruppen und hörten gemeinsam ausländische Rundfunksendungen und sprachen darüber auch mit ihren Kollegen im Betrieb. Sie nutzen dazu z. B. auch die Waschräume, damit Vorgesetze und Nazikollegen dies nicht bemerkten. Weil es verboten war, ausländische Sender zu hören, mussten auch die Rundfunkgeräte dafür illegal beschafft werden – am besten selbst gebaut. Hermann Kleinewächter hatte das gemacht.
Am 21.7.43 wurde er dafür erneut verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat und Rundfunkverbrechen“ angeklagt. Am 5. Juli 1944 wurde er dafür zum Tode verurteilt und am 15. September 1944 hingerichtet. Nach dem Ende des Naziregimes 1945 holten ihre Genossen die Leichen aus Dortmund nach Bielefeld und errichteten ihnen auf dem Sennefriedhof eine Gedenkstätte. In der Friedrich-Ebert-Straße 2 liegt ein Stolperstein.
Quellen:
Christian Lawan, Aus dem Bielefelder Arbeiterwiderstand 1935-45
Christian Lawan Die Bielefelder KPD im Widerstand gegen den Faschismus
DGB Jugend Broschüre
Kleinewächter: OLG Hamm 2 H 101/44 10(9) J 836/43
Stolperstein: Friedrich-Ebert-Str. 2
Paul Brockmann
*1899 Bielefeld, SPD/SAP/DMV, 1937 wg. Homosexualität 16 Monate Gefängnis,Fräser, politisch aktiv, Todesurteil wg. „Wehrkraftzersetzung“, 22.9.1944 in Dortmund hingerichtet
Stolperstein: Breite Str. 35
Otto Giesselmann
*1904 Bielefeld, am 22.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Metallschleifer, Funktionär der KPD, Hochverratsanklage
Stolperstein: Meller Straße 27
Artikel über Frauen und Männer aus dem Kamphof-Viertel, die im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv waren, darunter Emma Bokermann, die Schwester von Kurt und Otto Giesselmann
von Yvonne Marie Bock in der „Viertel“ Nr. 52, Herbst 2024
Gustav Höcker
*1898 Wanne-Eickel, am 15.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Maschinenmonteur, KPD, Hochverrats- und Wehrkraftzersetzungsanklage
Stolperstein: Haller Weg 65
Gustav Koch
*1900 in Oerlinghausen, am 15.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Dreher, KPD, Anklage wegen Rundfunkverbrechen, „Wehrkraftzersetzung“ und „Hochverrat“
Stolperstein: Althoffstraße 4
Gustav Milse
*1885 Altenhagen, am 22.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Metallarbeiter, KPD, DMU, Anklage wegen „Hochverrats“;
Stolperstein: Kammeratsheide 16
Heiko Ploeger
*12. Juli 1898 Leer (Ostfriesland), Maschinenschlosser; wurde am 15. September 1944 in Dortmund hingerichtet wegen „Hochverrats“. Er starb als Opfer des Nationalsozialismus.
Heiko Ploeger wurde 1928 Mitglied der SPD und des Deutschen Metallarbeiter-Verbandes. Er engagierte sich zusammen mit seiner Frau Henny gegen den Nationalsozialismus. Noch vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten verteilte er zusammen mit seiner Frau Henny und anderen in Herford Flugblätter und schrieb Parolen an Wände. Diese Aktionen setzten sie nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten fort. Ploeger arbeitete seit 1928 in den Dürkopp-Adler-Werken in Bielefeld, dort agitierte er in einer Gruppe gegen den Nationalsozialismus und nutze dabei Informationen, die er durch BBC und andere Feindsendern gewonnen hatte.
Am Abend des 18. Januar 1944 wurde Heiko Ploeger gleichzeitig mit anderen in seiner Wohnung in Herford verhaftet und ins Polizeigefängnis nach Bielefeld gebracht. Am Abend des 15. September 1944 wurde er im Hinrichtungsraum des Dortmunder Gefängnisses wegen „Hochverrats“ hingerichtet, nachdem er vom Oberlandesgerichtes Hamm zum Tod verurteilt worden war. Am selben Tag wurden am selben Ort ebenfalls die Bielefelder Arbeiter Gustav Höcker, Otto Appelfelder, Hermann Kleinewächter, Gustav Koch, Gustav Milse, Bernhard Putjenter, Hermann Wörmann und Friedrich Wolgast hingerichtet. Seine letzten Worte an seine Frau waren: „Ich hoffe, dass ein freieres Deutschland für Euch entsteht. Ich habe dafür gestrebt und gelitten. Deutschland wird es anerkennen.“
Nach seiner Hinrichtung wurde er zusammen mit anderen ebenfalls hingerichteten Kollegen in einer Friedhofsecke verscharrt. Heiko Ploegers Leiche wurde nach Kriegsende ausgegraben und nach Herford auf den Friedhof Ewigen Frieden überführt.
Wikipedia-Artikel über Heiko und Henny Plöger
Bernhard Putjenter
*1888, am 15.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Lagerist, KPD; Anklage wegen „Hochverrats“;
Stolperstein: Brandenburger Str. 27
Rudolf Sauer
*1900 in Bielefeld, am 15.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Zahntechniker, KPD,
Stolperstein: Wellensiek 154
Friedrich Wolgast
*31.7.1901 Herdecke, am 15.9.1944 in Dortmund hingerichtet, Galvaniseur, DMU, SPD-nah; Anklage wegen „Hochverrats“;
Stolperstein: Wittekindstr. 53
Hermann Wörmann
*1896 in Bielefeld Sieker, am 15.9.1944 in Dortmund hingerichtet, KPD,
Stolperstein: Althoffstraße 14
Fotos der Grabsteine: Irene Recksiek
Weitere Infos
Download Infoflyer (Grafik: Lena Schäfferling)
Download Broschüre der DBG Jugend Arbeiterwiderstand im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Dürkopp-Werke in Bielefeld (mit frdl. Genehmigung des DGB/A. Unger)
Artikel des Webweckers Bielefeld und aus der Neuen Westfälischen über die Bielefelder Stolpersteine, auch für die Arbeiter bei Dürkopp und Benteler
Literaturhinweise
• Lawan, Christian: Die Bielefelder KPD im Widerstand gegen den Faschismus. In: Harder-Gerstorff, Elisabeth/Klönne, Arno/Stiller, Theodor (Hg.): Beiträge zur Geschichte der Bielefelder Arbeiterbewegung. Bielefeld: AJZ-Verlag 1981, 189 – 231 (Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld (im Folgenden: LG) Signatur: W 130 200)
• Lawan, Christian: Aus dem Arbeiterwiderstand 1933 – 1945. In: Emer, Wolfgang/Horst, Uwe/Schuler-Jung, Helga (Hg.): Provinz unterm Hakenkreuz. Diktatur und Widerstand in Ostwestfalen-Lippe. Bielefeld: AJZ-Verlag 1984, 53 – 76 (LG Signatur: APA 66 Archivpädagogischer Apparat, nicht ausleihbar)
• Paul, Hinrich: Zur Geschichte eines Bielefelder Industrieunternehmens während der Nazizeit: das Beispiel Dürkopp. In: Emer, Wolfgang/Horst, Uwe/Schuler-Jung, Helga (Hg.): Provinz unterm Hakenkreuz. Diktatur und Widerstand in Ostwestfalen-Lippe. Bielefeld: AJZ-Verlag 1984, 53 – 76 (LG Signatur: APA 66 Archivpädagogischer Apparat, nicht ausleihbar)
• DGB-Jugend Ostwestfalen-Lippe (Hg.)/Stucke, Ingo: Arbeiterwiderstand im Nationalsozialismus. Das Beispiel der Dürkopp-Werke in Bielefeld. Bielefeld: 2001 (LG Signatur: Kap 40/11 (10) Magazin, nicht ausleihbar)
• Sozialistische Jugend Deutschlands Die Falken, Kreisverband Bielefeld (Hg.)/Martina Bechtler: Paul Brockmann. Kämpfer gegen Faschismus und Krieg. Bielefeld 1985 (LG Signatur: L Bro 200 1)
• Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten: Roter Winkel. Extra zum Sennefriedhof. Bielefeld 1988 (LG Z St K4 Magazin, nicht ausleihbar)
• Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten: Antifaschismus Aktuell. Vierteljährliches Mitteilungsblatt Extra 1982
• Lehrke, Gisela: Bildungsmaterial zu Orten des Widerstands und der Verfolgung in Bielefeld 1933 – 1945. Bielefeld: Arbeit und Leben 1987 (LG Signatur: G 500 249)
• Begemann, Dieter: „Ich hoffe, dass ein freieres Deutschland für Euch entsteht“ – Das Schicksal des 1944 hingerichteten Arbeiters Heiko Ploeger. Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte. 1988 (LG Signatur: L Plo 264 1)